Vorbemerkung zur Neubearbeitung


Wieso ist Feuer & Flamme einmal entstanden?

Der Ausgangspunkt für dieses Buch bestand Ende der 80er Jahre darin, eine »kurze Kritik« an einigen innerhalb der Autonomen herumfliegenden Geschichts- und Organisierungsvorstellungen zu üben. Nicht mehr.
Zu jenem Zeitpunkt war ich sowohl an dem linksradikalen Flügel der ­ inzwischen in dieser Form weitgehend verschwundenen ­ Anti-AKW-Bewegung als auch an der gegen die Tagung von IWF und Weltbank in West-Berlin gerichteten Kampagne autonomer Gruppen intensiv beteiligt. Nach dem vorläufigen Ende dieser Bemühungen erschien mir das unter dem Stichwort »autonom« zusammengebastelte Theorie- und Praxisverständnis ein wenig windschief, weshalb ich auch ein nach Möglichkeit radikales Nachdenken notwendig fand. So habe ich mir nach dem Ende der IWF-WB-Kampagne, trotz meiner Erschöpfung, die Zeit genommen, eine Reihe von Kritiken an den Autonomen noch einmal genauer und gründlicher durchzulesen. In diesem Zusammenhang seien besonders die Texte der l.u.p.u.s-Gruppe aus Frankfurt vom Frühjahr 1987 und ein Ende 1988 von Hamburger Linksradikalen verfaßtes Papier unter dem Titel »Ich sag' wie es ist« genannt. In beiden Texten werden autonome Bewegungserfahrungen der 80er Jahre verhandelt. Besonders von dem Inhalt des l.u.p.u.s-Papieres war ich außerordentlich beeindruckt. Eine Reihe von Passagen darin haben meinen heftigen Widerspruch provoziert: »Nein, so zynisch und blöd, wie da ðandere AutonomeĐ dargestellt werden, bin ich nicht! Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden!« Ich habe vielleicht dieses Papier im Vergleich zu den damals von den VerfasserInnen verfolgten, ja immer auch aktuell tagespolitisch motivierten, Intentionen genau umgekehrt gelesen. Nichtsdestotrotz war es für mich, bei allen ­ mir manchmal zu ­ selbstkritischen Untertönen an den Paradoxien der realen Vergesellschaftung innerhalb von autonomen Zusammenhängen, ein wichtiger Durchbruch zur Formulierung meiner eigenen Bewegungserfahrungen. Deshalb kann ich auch heute noch dieses Papier nicht genug über den grünen Klee loben.
Das Hamburger Papier besitzt gegenüber dem l.u.p.u.s.-Text auch nicht annähernd die gleiche Qualität. Es ist durchzogen von einem selbstgerechten orthodox-leninistischen Grundverständnis, welchem der Stalinismus konsequent auf dem Fuße gefolgt ist. Ich habe dieses Papier damals unter der eher unbewußt verfolgten Perspektive eines eifrigen Parteiaktivisten einer imaginierten Autonomen-Partei gelesen. Folgerichtig bestand mein Anliegen mit »Feuer und Flamme« auch darin, Dinge und Sachen zusammenhalten zu wollen, die, kritisch betrachtet, überhaupt nicht zusammengehören. Heute würde meine Kritik an diesem Papier, völlig unbefangen und in jeder Hinsicht skrupellos, um vieles schärfer und unversöhnlicher ausfallen, als es in der ersten Fassung von »Feuer und Flamme« geschehen ist.
Beide Texte wurden von mir daraufhin durchgesehen, was sie über die Dinge geschrieben haben, an denen auch ich in der einen oder anderen Weise beteiligt gewesen war. Und siehe da: mehr als einmal habe ich mich in diesen Darstellungen darüber geärgert, daß ich und meine Freunde dabei immer dümmer wegkamen, als wir es doch tatsächlich waren. Hinzu kam, daß die gegebenen Hinweise auf die linksradikale Geschichte der 60er und 70er Jahre beinhalteten, daß früher alles irgendwie »besser« als heute gewesen sein soll. Ich habe mich dabei spontan gefragt, ob das tatsächlich stimmte. »Wenn es denn damals so toll gewesen sein soll, wieso hast du dann später so wenig davon mitbekommen?« war meine Reaktion auf derartige Aussagen. Mein Widerspruch wurde durch diese Papiere herausgefordert. Nicht mehr. Und um ein Ergebnis meiner Bemühungen um eine kleine Rekonstruktion von autonomer Geschichte insbesondere in den 60er und 70er Jahren der BRD gleich vorwegzunehmen: in meiner »Untersuchung« hat sich herausgestellt, daß »früher« nicht »alles besser«, sondern einfach alles nur ein wenig »anders« gewesen ist.
Und weil ich mich damals in besonderer Weise einer »konstruktiv« gemeinten Praxis verpflichtet gefühlt habe, sollte natürlich nicht bei einem bloßen, mir damals eher verdächtig erscheinenden »Kritisieren« stehengeblieben werden. Und so habe ich mir in einer Zeit, in der sich nebenbei die DDR nach 40 langen Jahren kontinuierlicher Nationalstaatsorganisierung einfach im Nix auflöste, dann auch noch gleich einen eigenen »Organisierungsvorschlag« für die von mir so geliebten Autonomen ausgedacht. Großzügig, nicht wahr?

Mit welcher Methode wurde Feuer und Flamme
eigentlich geschrieben?

Ich setzte mich hin, um einmal aufzuschreiben, wie es denn bei den Sachen, an denen ich irgendwie im irgendwo selber beteiligt war, aus meiner Sicht war. Und darüber hinaus wollte ich mir auch mal angucken, ob die Geschichte, bei der ich leider aus biographischen Gründen nicht hab' dabei sein können, tatsächlich um so vieles »besser« war als die bewußt miterlebte und manchmal ja auch gemachte eigene Geschichte in den 80er Jahren.
Das war der Ausgangspunkt, von dem zu sammeln und herumzulesen angefangen wurde. Und abgesehen vom Aufschreiben habe ich dann in der Zwischenzeit noch über alles, was ich schon wußte, mit Freunden und Freundinnen gesprochen und diskutiert. Besonders geholfen haben mir dabei Gespräche mit meinen Freunden Don Fredo und Felice dem Grottenolm, die wir bei einer dreiwöchigen Fahrradfahrt quer durch Südschweden geführt haben. Ersterer war in der zweiten Hälfte der 70er Jahre ein Sponti-Fürst irgendwo an einer norddeutschen Uni. Letzterer war ein dem zentralistisch organisierten Kommunistischen Bund (KB) aus Hamburg aus den Rudern gelaufenes Basismitglied. Wir drei haben während dieser Fahrradfahrt im Sommer 1989 rund um die Uhr gegen Gott und für die Welt herumgeschwatzt. Dabei haben wir nicht nur über die gerade mal ein Jahr zurückliegende IWF-WB-Kampagne der autonomen Gruppen gesprochen, an denen wir alle drei in der ein oder anderen Art und Weise beteiligt waren. Ich habe einfach die Gelegenheit genutzt, alles das zu fragen, was ich schon immer mal über die Geschichte der Linksradikalen wissen wollte. Und darüber hinaus hab' ich beide immer mal wieder mit meinen Vorurteilen darüber konfrontiert, jedenfalls dann, wenn schon welche da waren. Manchmal haben sie mich für die Ansichten einfach nur ausgelacht, mir dann meinen Unsinn auseinandergepflückt und mich über die »wahren Sachverhalte« aufgeklärt. Über andere Vorurteile von mir haben sie gestaunt, und wir haben kreuz und quer diskutiert. Und nachdem wir zwischendurch in Stockholm zufällig in einer Kolonie von ehemaligen Flüchtlingen noch ein paar zynisch gewordene Tupamaros getroffen hatten, waren irgendwann die drei Wochen vorbei, und wir gingen wieder auseinander. Unmittelbar danach habe ich dann mein bis dato angefertigtes Manuskript in den Mülleimer geworfen und sofort begonnen, alles aufzuschreiben, was ich noch an Entwicklungslinien, Einschätzungen und Thesen aus unseren gemeinsamen Gesprächen in Erinnerung hatte. Und mit dieser Methode: nachdenken, aufschreiben, mit Schlaueren drüber quatschen, alte, dann als dumm erkannte Sachen wieder verwerfen und neue hinzufügen, wurde solange weitergemacht, bis das ursprünglich einmal als »kurze Kritik« gedachte Papier dann als Buch endlich fertig war. Ich möchte die von mir bei der Erstellung von Feuer und Flamme benutzte Methode als Sammel- und Räubermethode kennzeichnen. Vermutlich ist diese Methode gerade in der kritischen Sozialwissenschaft verpönt, schließlich genügt sie ganz sicher keinerlei wissenschaftlichen Ansprüchen. In dem Bereich der »Wissenschaft« gilt nach wie vor der Grundsatz: Die angewandten Methoden des Arbeitens müssen dem jeweilig behandelten Gegenstand angemessen sein. Doch was läßt sich gerade bei dem schillernden Gegenstand von »Politik« genau unter der »Wissenschaft von der Politik« verstehen?
Ich glaube, daß ich bei der Formulierung von »Feuer und Flamme« versucht habe, diese »Wissenschaft« einfach im Sinne von Freiheit zu begreifen; und zwar der Freiheit, Nachfrage und Widerspruch zur Gesellschaft zu üben, etwas nicht fatalistisch als gottgegeben oder gar unveränderbar hinzunehmen, manchmal sogar ­ und das ist oft das mühsamste ­ auch »Nein« zu sagen. Überhaupt: Besteht nicht der Sinn von Politik unter den herrschenden Bedingungen allein darin, alle Menschen in die Lage zu versetzen, selber Politik betreiben zu können, um sie genau dadurch in allen ihren idiotischen, gar bisweilen barbarischen Formen endlich abzuschaffen?

Was sollte man und frau ansonsten noch in der Vorbemerkung erfahren?

Feuer & Flamme ­ und zwar »für diesen Staat« und nicht, wie seit geraumer Zeit, von Nazis und Rassisten mit staatlicher Billigung an Flüchtlingswohnhäuser gelegt ­ wurde als Parole immer wieder in den 80er Jahren von Autonomen auf Demonstrationen skandiert. Dieser Begriff schien mir auch im Sinne einer durchaus flüchtig gemeinten Momentaufnahme eine gute Charakterisierung der politischen Bewegung der Autonomen zu sein.
Eine Voraussetzung, die mehr oder weniger sichtbar in die Darstellung einfließt, ist die Biographie des Autors insbesondere innerhalb der linksradikalen Bewegung in Norddeutschland/Hamburg und West-Berlin. Dieser Hinweis ist deshalb nicht ganz unwichtig, da die Geschichte der Autonomen in der alten BRD immer sehr stark von lokalen Gegebenheiten beeinflußt worden ist. Und gerade wenn man dann auch selber an diesen oder jenen Stellen eifrig mitgemischt hat, verliert man ziemlich schnell den ohnehin schwierigen Überblick über die Entwicklungen der autonomen Strukturen in anderen Regionen der BRD (z.B. Rhein-Main-Gebiet, Süddeutschland, Ruhrgebiet). Hinsichtlich der Biographie des Verfassers ist die nachfolgende Darstellung auch als Geschichte eines unbezahlt und zuweilen sehr entfremdet Arbeit leistenden autonomen Parteifunktionärs mittendrin in dem Durcheinander zwischen ganz großer, dann etwas kleinerer und manchmal ja auch gar keiner Politik zu lesen; ein Individuum, welches sich nebenbei bemerkt auch mit Hilfe dieses Textes als Billig-Intellektueller probiert hat.
Darüber hinaus konnte die nachfolgende Darstellung natürlich nicht frei von meiner besonderen Sichtweise als Mann sein. Dabei sind für mich gerade bei den durch die feministisch-autonome Frauenbewegung aufgeworfenen Herausforderungen eine Reihe von Widersprüchen explodiert: Wut, Resignation und Hilflosigkeit lagen dabei dicht beieinander. Und so bleibt bei dieser Bearbeitung außer dem Hinweis, daß ich ein diesbezügliches Kapitel aus der alten Fassung herausgeworfen habe, wenig mehr zu sagen, als daß die im Geschlechterverhältnis angelegten widersprüchlichen Dimensionen in diesem Text deshalb nicht »berücksichtigt« wurden, weil der Autor schlicht zu ahnungslos war, sie zu begreifen.
Ich bin nach der ersten Fassung darauf aufmerksam gemacht worden, daß es einer Frechheit gleichkommt, eine Abhandlung zur Geschichte und Gegenwart der Autonomen in den 70er und 80er Jahren zu schreiben, ohne dabei den großen Einfluß der Rock- und Punkmusik sowie des süßen Drogenrausches auf die Szene auch nur einmal erwähnt zu haben. Ich bitte mir dieses Versäumnis als manchmal vielleicht etwas trocken wirkenden, bolero-hörenden Bücherjunkie nachzusehen ...
Die an diesen oder jenen Stellen verwendete Anrede »Genosse« besitzt verständlicherweise für Leute aus der links-antiautoritär-undogmatischen Szenerie der ehemaligen DDR einen mehr als faden Beigeschmack. Selbst dem Verfasser gruselt mittlerweile bei der Erkenntnis, daß sich damit auch ein Erich Mielke positiv angesprochen fühlen könnte. Und der ist jemand, der als stalinistischer Geheimdienstbulle in der zweiten Hälfte der 30er Jahren mit Eifer mitgeholfen hat, die soziale Revolution im spanischen Bürgerkrieg zu liquideren. Trotz allem kennzeichnet »Genosse« in der Geschichte der alten West-BRD einen Zusammenhang von tendenziell Verfolgten und Ausgegrenzten, nicht jedoch eine Führungsclique. Und darüber hinaus fühlt sich der Verfasser einem Milieu von Genossen und GenossInnen zugehörig, die mitunter in ihrer wirklichen Lebenspraxis auch den reichen, manchmal sogar auch überschäumenden Genuß, wie z.B. bei der Plünderung von Supermärkten, verstanden, sprich: »genossen« haben.
Eine kurze Anmerkung zu Geronimo: Mit der Wahl dieses Pseudonyms soll keineswegs der Eindruck von Konspirativität erweckt werden. Als ich es vor einem halben Jahrzehnt gewählt habe, war es für mich Ausdruck für den Versuch, einen pragmatischen Umgang mit der Anmaßung zu finden, als einzelner über etwas zu schreiben, von dem ich immer noch finde, daß doch gerade bei diesem Thema alle etwas zu sagen haben und zu sagen haben sollen. Dieser banale Gedanke reflektiert dabei zugleich die innerhalb der autonomen Bewegung vagabundierende Paradoxie des ungelösten Hierarchie- und Führungsproblems. Schließlich gilt doch nach wie vor: Die Autonomen besitzen keine Comandantes oder, genauer formuliert, sie sollten keine besitzen. Jedenfalls nicht in einer befreiten Gesellschaft, in der wir bekanntlich noch nicht leben.
Darüber hinaus bietet die Wahl eines Pseudonyms in der gegenwärtigen Situation einen kleinen Schutz vor organisierten Neofaschisten, den ich aus gesundheitlichen Gründen nicht missen möchte.
Das in der ersten Fassung in diesem Zusammenhang angesprochene Problem der Korruption existiert bekanntlich in dieser Gesellschaft immer noch. Dem Autor ist es aber mittlerweile mit seinem weitgehend auf Grundlage eines in den sich verflüchtigenden Nischen der Alternativbewegung um Angepaßtheit bemühten bescheidenen Lebensstil keine großen Worte mehr wert.
Dem und der nun hoffentlich immer noch geneigten Leserin wird nun eine Reise quer durch den bundesdeutschen Linksradikalismus in der Zeit von ungefähr 1967 bis nach 1989 zugemutet. Da und dort wurden in den einzelnen Kapiteln ein paar neue Literaturhinweise aufgenommen. Nicht nur sie mögen den Leserinnen dazu dienen, den nachfolgenden Text nicht einfach folgsam und stumm, d.h. unkritisch in sich aufzunehmen. Vielleicht löst er bei den verehrten LeserInnen wenigstens den die Gleichgültigkeit kreuzenden Impuls aus, kopfschüttelnd zu widersprechen ...

Zur Geschichte der Autonomen 1967­1989

Die Autonomen, so wie es sie heute in dieser Gesellschaft der 90er Jahre als eine politisch verstandene Formation gibt, hat es weder in der Wirtschaftswunder-BRD noch in der stalinistischen Ulbricht-DDR der 50er Jahre gegeben. Die Autonomen, wie man und frau sie sowohl aus eigener Beteiligung als auch aus der distanzierten Medienanschauung in diesem Land kennt und zuweilen ja auch erleidet, existieren im Grunde genommen erst im Gefolge der 68er Revolte, vor allem in Westeuropa. Diese Revolte wurde in der zweiten Hälfte der 60er Jahre sozial hauptsächlich von einer StudentInnenbewegung getragen. Aus dieser sozialen Bewegung ist in Abgrenzung zur »Alten Linken« eine sogenannte »Neue Linke« entstanden. Diese neue Linke entwickelte sich aus einer Kritik sowohl an den Stellvertreterformen von Partei und Gewerkschaft als auch an den politischen Konzeptionen der traditionellen Arbeiterbewegung. Die Abgrenzung galt der westeuropäischen Sozialdemokratie wie dem osteuropäischem Bolschewismus, aber auch Elementen eines südeuropäischen Anarchismus. Sowohl gegen die in Westeuropa nach dem zweiten Weltkrieg restaurierten kapitalistischen Verhältnisse als auch gegen die geschichtsmächtig gewordenen Vorstellungen der traditionellen Arbeiterbewegung verstand sich die StudentInnenbewegung in ihrem Selbstverständnis als antiautoritär. Darüber hinaus zeigt uns ein weiter Blick auf jene Zeit, daß es innerhalb der 68er Revolte eine Revolte der Frauen gegen die Männer gab. Aus der Kritik an den »sozialistischen Eminenzen« entstand eine sich selbst organisierende autonome Frauenbewegung, die damit begann eine andere Praxis im Verhältnis zwischen Alltag, Politik und Subjektivität zu propagieren. Und nicht zu vergessen sind für diese Zeit die europaweitenAusstrahlungseffekte einer militant gegen Lohnarbeit und das Kapital kämpfenden Arbeiterklasse in den Automobilfabriken.
Die Autonomen von heute sind nur im Zusammenhang mit einer historischen Kontinuität der neuen Linken in einem Westeuropa seit 1967/68 zu begreifen, die auf jeden Fall bis zum Ende der alten West-BRD Ende des Jahres 1989 reicht. In einer auf Westeuropa gerichteten Sichtweise kann die Theorie und Praxis der West-BRD-Autonomen der 80er Jahre nach der Niederschlagung der italienischen Autonomia Ende der 70er Jahre durchaus als eine »zweite Welle der Autonomie« betrachtet werden. Begrenzen wir den Blick auf die Geschichte der West-BRD, dann erscheint es plausibel, die Autonomen als eine Art zweite Generation der 67/68er Revolte zu verstehen; und zwar einer Generation, die noch einmal versucht hat, die von den 68er Protagonisten formulierten politischen und kulturellen Ansprüche zu radikalisieren, um sie so gegen deren zunehmend doppelbödige Moral auszuspielen. Insofern tragen die Autonomen in ihrem derzeitigen Erscheinungsbild immer noch den Schatz aller Versäumnisse, Niederlagen, aber auch der Ansprüche, Paradoxien und Erfolge von über 20 Jahren linksradikaler und antiparlamentarischer Politik in der alten West-BRD mit sich herum.
Die politischen Ursprünge der Autonomen lassen sich in der Folge des Zerfalls der Außerparlamentarischen Opposition (APO), bei den »Spontis«, bei den von Italien beeinflußten marxistisch-operaistischen Gruppierungen sowie bei libertär-anarchistischen Strömungen im Zusammenhang mit städtischen Subkulturen finden. Im Laufe der politischen Auflösung dieser linksradikalen Gruppierungen ab Mitte der 70er Jahre transformieren sich weite Teile der Spontibewegung in die beginnende Alternativbewegung. Diese Fluchttendenz aus frustrierend empfundenen herkömmlichen Formen der politischen Arbeit wird durch den »Deutschen Herbst« 1977 verstärkt.
Gleichzeitig werden zentrale Motive und Politikmuster der linksradikalen Szene (Ablehnung von Kaderorganisationen, Politik in der ersten Person, Prinzip der direkten Aktion, Basisdemokratie, Entwicklung von »Gegenöffentlichkeiten«) in popularisierter Form in den »neuen sozialen Bewegungen« aufgenommen.
Der spätestens ab Mitte der 70er Jahre einsetzende Aufstieg dieser Bewegungen trifft auf einen parallel verlaufenden Niedergang der ebenfalls aus der 68er Revolte hervorgegangenen dogmatischen marxistisch-leninistischen K-Gruppen. Die Ablehnung der von diesen verfolgten Politik war in der Praxis der Linksradikalen in den 70er Jahren stets ein wichtiger Baustein ihres eigenen Selbstverständnisses.
»Durch das Entstehen der Spontis und Stadtindianer in der Bundesrepublik Mitte bis Ende der 70er Jahre gelangten die Autonomie-Diskussionen in die hiesigen Szenerien und Polit-Zirkel. Ein wichtiges Diskussionsorgan und Umsetzungsmedium für autonome Ideen und Gedanken war dabei neben dem Berliner ðInfo-BUGĐ (bzw. ðBug-InfoĐ) und dem Frankfurter Informations-Dienst (ID) die Zeitschrift ðAutonomie ­ Materialien gegen die FabrikgesellschaftĐ. Erst dann ab 1980 gab es Ansätze zu einer eigenständigen autonomen Bewegung« (M. Manrique). Mit den »neuen sozialen Bewegungen« bildet sich ein sich selbst als autonom-militant verstehender linksradikaler Flügel heraus. In diesem Spektrum sind personelle Kontinuitäten aus der 68er Revolte nur noch schwer greifbar, und es scheint zunächst kaum ein historisches Bewußtsein über die Verknüpfung zur 68er Revolte zu existieren. Der Zusammenhang der neuen sozialen Bewegungen bildet ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre den Ausgangspunkt für das Entstehen der reformistischen Grünen Partei und für einen linksradikalen Flügel.

Qu'est-ce que l'autonomie?

In diesem Geschichtsabriß geht es nur am Rande um den schillernden Begriff der »Autonomie«. Vor zweihundert Jahren verbissen sich mit Kant und Hegel immerhin schon ein paar nicht unwesentliche Denker der bürgerlichen Aufklärung in diesen Begriff. Diese Erkenntnis war mir jedenfalls Ende der 80er Jahre deshalb noch verschlossen, weil das Licht meiner damaligen konkreten Neugier (leider) noch nicht so weit zurückreichte. Zumindestens trägt dieser Verweis dem Umstand Rechnung, sich irgendwann einmal gründlicher mit dem Begriff der »Autonomie« zu beschäftigen. Er erscheint in einem bornierten Alltagsverständnis in der jüngsten Gegenwart eher auf die Allerweltsformel »Unabhängigkeit« zusammengekürzt worden zu sein. Doch das ständige Hervorheben einer imaginären »Unabhängigkeit«, ohne einmal genau zu benennen, wovon, warum und wieso überhaupt, erscheint wenig mehr als ein hohles, auf Sand gebautes Unternehmen. Und das deshalb, weil doch gerade jetzt, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, zu begreifen ist, daß wir in den Verhältnissen der einen Welt leben, wo wir mehr denn je aufeinander angewiesen, d.h. auch abhängig voneinander sind. Diese Umstände in dem Begriff der »Autonomie« nicht mitzudenken und statt dessen einem unkritischen Kult der Unabhängigkeit zu frönen, enthüllt sich dann ein ums andere Mal in Praxisformen eines ganz unangenehmen bürgerlich egoistischen Ellbogenindiviualismus. Es sind dies Verkehrs- und Vergesellschaftungsformen, die nicht nur im abstrakten Sinne für das kapitalistische System höchst funktional sind. Zugespitzt ist sogar zu formulieren: Bestimmte in jeder Hinsicht unkritisch unter dem Label der sogenannten »Unabhängigkeit« verstandene Verkehrsformen waren immer wieder ganz konkret von neuem in der autonomen Alltagsszenerie der 80er Jahre für viele aktiv Beteiligte in aller Brutalität zu erleiden.
Vielleicht wäre ja statt dessen über die herausfordernde Definition von Bodo Schulze nachzudenken, der der Auffassung ist: »Autonomie ist ein zerbrechlich Ding ­ oder vielmehr: Autonomie ist gar kein Ding, sondern eine bestimmte Verkehrsform von Individuen, die sich zum Zweck der Zerstörung jeglicher Herrschaftsverhältnissse assoziieren. Diese Verkehrsform ist nicht theoriefähig. Theorien lassen sich nur über solche Gegenstände ausarbeiten, die an sich selbst Existenz haben ­ die als solche existieren. Autonomie ist kein solcher Gegenstand. Autonomie hat keine Existenz an sich. Sie ist nur insofern, als die Menschen revolutionär tätig werden.«
In einem aktuell verstandenen politisch-historischen Zugriff hat sich ein Abriß über die Geschichte der West-BRD-Autonomen mit der Position einiger GenossInnen auseinanderzusetzen, die meinen, er sei ein »italienischer Exportartikel«. Dabei habe die »Autonomie« ihren im dortigen Kontext gewonnenen »proletarischen Charakter« in der BRD/ West-Berlin in einen »typisch deutschen kleinbürgerlichen individuellen Ausdruck« verändert. Ob das wohl stimmt?
Vielleicht kann uns in diesem Zusammenhang eine Autonomie-Definition von Johannes Agnoli weiterhelfen, die genau im Schnittpunkt zwischen den italienischen und den westdeutschen Erfahrungen, Mitte der 70er Jahre, das Licht der Welt erblickte:
»Die von mir gemeinte Autonomie ist die Klassenautonomie ... Autonomie in der doppelten Form: als Klassenbewegung, die Bewegung der Arbeitskraft gegen das Kapital, die Bewegung des Arbeiters als Subjekt der Produktion gegen seine gleichzeitige als Objekt der Verwertung. Aber auch und zugleich über den Fabrikbereich hinausgehend: als Tendenz oder Bewegung der abhängigen Massen gegen den Versuch des Kapitals, diese abhängigen Massen als Objekte der Umsetzung des Mehrwerts in Profit, als Konsumobjekte zu betrachten. In beiden Fällen bedeutet Autonomie den Versuch ... der Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung sich selbständig von der Kapitalbewegung, von der Zyklenbewegung des Kapitals zu machen ... Klassenautonomie bedeutet ... daß die Klassenbewegung als Emanzipationsbewegung, als Bewußtwerdungsprozeß völlig unabhängig vom ökonomischen Zyklus verläuft ... Während in der BRD in der Fabrik der Aufstand der Arbeiter gegen die Verwertung immer noch sehr zurück ist ... hat in der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion der Aufstand der Gebrauchswertorientierung gegen die Tauschwertorientierung eher konkretere Formen angenommen ... Autonomie von der Kapitalbewegung kann sich ausdrücken, wie in der BRD, als Absage an die Tatsache, daß ein jeder von uns eingespannt ist in den Realisierungsprozeß auf dem Markt und sich dagegen wehrt ... Autonomie bedeutet ... nicht eine Absage an das Organisationsprinzip, wohl aber eine Absage an irgendeine Organisation, die ein eigenes Organisationsinteresse entwickelt, das nicht mehr das Klasseninteresse ist ... Was ich sagen will: Klassenautonomie ist nicht organisationsfeindlich. Vielmehr sind die traditionellen Organisationen nicht mehr in der Lage, Klasseninteressen zu vertreten.« (»Langer Marsch«, Februar76.)
Wie auch immer. Gerade bei Geschichtsdiskussionen mit ehemals und noch immer aktiven GenossInnen gilt es zu bedenken, daß sie hin und wieder ihre eigenen engagierten, vielleicht schon Geschichte gewordenen Erfahrungen in diesem oder jenen von ihnen beackerten Schrebergarten gerne auf das Ganze verallgemeinern. Das ist eine Methode, sich wenigstens nachträglich eine große Bedeutung zuzusprechen. Was jedoch für die einen ein wohliges Gefühl ist, muß noch lange nicht für andere und schon gar nicht in anderen Zusammenhängen stimmen. Wer also die Geschichte der heutigen West-BRD-Autonomen lediglich auf einen »italienischen Exportartikel« zusammenkürzt, muß sich zu Recht die Frage gefallen lassen, ob diese nicht vielleicht schon in der gesellschaftlichen Realität der BRD in den 50er und 60er Jahren zu finden waren, auch wenn sich diese Leute selbst nicht so genannt haben mögen. In diesem Zusammenhang sei nur an die »Halbstarkenrandale« bei den Rockkonzerten in den 50er Jahren, an die sogenannten »Schwabinger Krawalle« in München 1962 und an die Aktivisten der »Subversiven Aktion« Mitte der 60er Jahre erinnert. Diese Verweise zeigen, daß das Gespenst der Autonomie in diesen Breitengeraden nicht allein italienischen Ursprungs und auch weit älter ist, als der hier vorgenommene Geschichtsabriß nahelegt. Es scheint den Herrschenden schon länger Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte bereitet zu haben. In bezug auf eine tatsächliche politische Relevanz von Linksradikalen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der BRD erschien es jedoch sinnvoller, die Geschichte der bundesdeutschen Autonomen als Ergebnis von politischen Konflikten und Auseinandersetzungen seit 1967 darzustellen.
Eine andere Schwierigkeit in der Beschreibung der Autonomen in den 80er Jahren drückt sich in der wahlweisen Verwendung von Begriffen wie »Bewegung der Autonomen«, »Linksradikale« oder die »politische Kraft der Autonomen« aus. In der nachfolgenden »Untersuchung« wurde deshalb auf eine statische Begriffsdefinition gegenüber dem sich bewegenden und schillernden Gegenstand der »Autonomen« verzichtet. Und das auch deshalb, weil sie mit der Gefahr einer sowohl autoritären als auch höchst willkürlichen und damit gewalttätigen Verfahrensweise verbunden wäre.
Zumindest läßt sich in einer vorsichtigen Beschreibung sagen, daß sich hinsichtlich der Formen der Begriff des »Linksradikalismus« in den 60er und 70er Jahren eindeutig als »links« von den Organisationen der traditionellen Arbeiterbewegung bestimmen läßt, ohne dabei mit den traditionellen Formen und Theorien des Anarchismus völlig zusammenzufallen. Der Gehalt des Begriffes »Linksradikalismus« hat sich in den 80er Jahren insofern verändert, als er zumindestens in dieser Zeit präziser mit »links« von der Partei der Grünen beschrieben werden muß. Allerdings existierten in den 80er Jahren neben den Autonomen auch noch andere Gruppierungen, die sich selbst als »linksradikal« verstanden, sich jedoch bewußt von den Autonomen abgrenzten.
Dieser geschichtliche Abriß erhebt keinen Anspruch, eine repräsentative, alles berücksichtigende Geschichte des bundesdeutschen Linksradikalismus zu liefern. So fehlt ein ursprünglich beabsichtigtes Kapitel über die linksradikale Stadtgeschichte von West-Berlin. Diese Stadt war neben Frankfurt das wichtigste Agitations- und Aktionszentrum der 68er Studentenrevolte. Das drückt sich nicht nur in dem reichen Schatz der Szene- und Untergrundzeitschriftenkultur aus ­ die von »Linkeck«, »883«, »Fizz«, »Info-Bug«, »Radikal« bis heute zur »Interim« fortwirkt. Voller Aufregung können auch heute noch ein paar entsprechende Passagen aus P.P. Zahls Buch »Die Glücklichen« gelesen werden, in denen er detailliert die Vorbereitungen und den Ablauf der massenmilitanten »Kampfdemonstration« im Mai 1970 gegen den Einmarsch der US-Imperialisten in Kambodscha beschreibt. Und da und dort werden auch noch auf den heutigen Demos ein paar einschlägige Textpassagen aus dem legendären Rauch-Haus-Song der »Scherben« mitgesungen. Und dann gibt es noch den Blues, das Thommy Weisbecker Haus, die Agit-Prozesse, den Kampf um die selbstverwalteten Jugendzentren, die Stadtteilarbeit gegen Wohnraumzerstörung und Mietwucher und überhaupt ...
Die linksradikale Szene in den 70er und 80er Jahren verfügte zu keinem Zeitpunkt über ein gemeinsames übergreifendes Verständigungsorgan, beispielswiese in Form einer Zeitung oder einer verbindlichen Organisation. Die Darstellung hat dem Problem Rechnung zu tragen, daß sich bestimmte Züge von militant-spontaneistischen und individualistisch-anarchistischen Momenten in der linksradikalen Szenerie in einem Geschichtsabriß nur schwer als Organisationsgeschichte chronologisch verfolgen und darstellen lassen. Viele der GenossInnen, die sich in den 70er Jahren an diesen oder jenen Auseinandersetzungen und Kämpfen beteiligt haben, hatten Besseres zu tun, als sich an die Schreibtische zu hocken, um zwischendurch fein säuberlich ihre politischen Bemühungen in dickleibigen Papieren zu bilanzieren. Und wie soll in einer Darstellung der Umstand verallgemeinert werden, daß immer wieder an der einen Stelle GenossInnen aus Frust die politische Arbeit steckten und dabei aber schon längst von anderen GenossInnen an anderen Punkten etwas Neues begonnen wurde? Aber vielleicht hat diese teilweise Desorganisation zugleich eine große Vielfalt von gerade nicht instrumentell-politisch zusammengekürzten Initiativen und Ansätzen ermöglicht, vor denen das Interesse an einer historischen Systematisierung in einem Geschichtsabriß zweitrangig bleibt.
Aus Gründen der Systematik und der Übersichtlichkeit werden in dem Abriß Linien entwickelt, die so unter Umständen nie in der gesellschaftlichen Praxis existiert haben. Ohnehin ist die Einteilung in die drei Zeitblöcke 68er-Revolte, 70er und 80er Jahre eine bloß willkürlich zusammengenagelte Hilfskrücke, um bestimmte Entwicklungslinien besser pointieren zu können. In diesem Zusammenhang ist nicht eindringlich genug darauf hinzuweisen, daß alle Zusammenhänge 1. »in sich«, 2. »komplex«, 3. »widersprüchlich« sowie selbstverständlich stets auf das engste »zusammenhängen«, wie überhaupt alle Abgrenzungen schwierig zu treffen sind.
Der Geschichtsabriß in der ersten Fassung von »Feuer und Flamme« war konzeptionell seitens des Autors untergründig auch durch das Bemühen motiviert, viele verschiedene Gründungsverbrechen mit möglichst genauer Ortsbeschreibung zuzüglich einer präzisen Uhrzeit angeben zu wollen. Aus der zeitlichen Distanz heraus würde ich mittlerweile dazu sagen, daß die kleinbürgerlichen Dispositionen meines antiautoritären Bewußtseins mich leider dabei manchesmal das Reich der Freiheit als privates Kleineigentum, gleichsam orientiert an der Vorstellung vom Besitzrecht der ersten Landnahme, haben behandeln lassen. Nicht nur Hans Jürgen Krahl, von dem dieser Gedanke abgeschrieben wurde, möge mir das nachsehen. Die neu gewonnene Erkenntnis motiviert mich jedenfalls zu dem Appell an die/den LeserIn: Rekonstruieren wir auch heute unsere eigene Geschichte nicht als Anekdote oder besonders heroisches Ereignis, sondern als bewegten, in jeder Hinsicht überraschenden Prozeß, um morgen besser in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreifen zu können.