Brief an alle Genossen aus der RAF
Dezember 1976
Dieser Brief richtet sich an alle Genossen aus der RAF
Dies ist ein offener Brief.

Wir sind ein Teil aus den Revolutionären Zellen. In diesen Brief sind aber auch viele Argumente aus der undogmatischen Bewegung einbezogen. Weil wir ihre Argumente richtig finden und weil wir uns mit dieser Bewegung verbunden fühlen.

Wir fordern alle Gruppen und Genossen (wie z.B. die Verlage, undogmatische Gruppen aus sämtlichen Bereichen, Zeitungsinitiativen, unorganisierte Genossen, die Bewegung 2. Juni ...) auf, diesen Brief zu diskutieren.
Eigentlich hatten wir schon lange vor, an euch - die Genossen aus der RAF - einige Fragen zu stellen. Anlaß ist nun das Gerücht, daß die Gefangenen aus der RAF einen 4. Hungerstreik planen, mit der Forderung: Anwendung der Genfer Konvention und damit Anerkennung als Kriegsgefangene.
Nun mögt ihr euch fragen, warum wir erst einen »diskussionswürdigen« Anlaß brauchen. Genossen, das liegt einfach daran, daß wir Angst hatten, möglicherweise von euch eine unangemessen scharfe Antwort zu bekommen. So in dem Tonfall: wir wären mindestens objektive Bullen/unser Brief sei eine Staatsschutzaktion. Mittlerweile haben wir erkannt, daß wir wegen eines solchen Vorwurfs vor der Auseinandersetzung mit euch nicht zurückschrecken dürfen. Wesentlich ist für uns jetzt (!), daß eine Klärung zwischen uns und euch ansteht. Innerhalb dieser Auseinandersetzung wird sich zeigen, wie weit wir uns schon voneinander entfernt haben bzw. inwieweit für euch das Bedürfnis und die Notwendigkeit besteht, euch mit uns, unseren Vorstellungen, unseren Aktionen, unseren Veränderungen, unserem Leben auseinanderzusetzen. Wir gehen davon aus, daß es für euch eine derartige Notwendigkeit geben muß! Ebenso muß es für euch eine Notwendigkeit geben, euch genauer mit der gesamten undogmatischen Bewegung auseinanderzusetzen. Sonst erhebt ihr euch eigenmächtig zu ihrer Avantgarde.
Die Aktionen 71/72 [43] aus der RAF waren für viele Genossen ein wichtiges Moment. Sie haben viele Leute, auch uns, wachgerüttelt. Als es an verschiedenen Ecken knallte, herrschte eitle Freude über die Unfähigkeit des gesamten Staatsapparates und die Fähigkeit der Guerilla, auch in der BRD operieren zu können. Diese Aktionen knüpften damals an der breiten anti-imperialistischen Bewegung an, setzten das fort, was zuvor in den Köpfen von tausenden rumspukte. Wir haben gesehen, daß das möglich ist, was man schon lange dachte. Ohne die RAF gäbe es heute keine RZ, keine Gruppen, die begriffen haben, daß der Widerstand nicht da aufhört, wo das Gesetzbuch anfängt. Eure Schrift, die ihr herausgegeben habt, zeigt deutlich, was das heißt: kompromißlos sein/zwischen dem Feind und sich einen klaren Trennungsstrich ziehen/daß Freiheit gegen diesen Apparat nur in seiner vollständigen Negation, d.h. im Angriff gegen den Apparat im kämpfenden Kollektiv möglich ist/daß wir auf's entschiedenste kämpfen müssen, um wieder Menschen zu werden.
Wir wollen jetzt aber von euch wissen: Steht ihr noch zu dem, was die RAF 71/72 gesagt hat? Wie steht ihr zur Befreiungsaktion in Stockholm? Welche Fehler meint ihr in der Zwischenzeit gemacht zu haben? Unter welcher Stoßrichtung führt ihr eure Prozesse? - Leute, wir fragen euch das deshalb, weil wir eure Politik aus den Augen verloren haben. Von der ursprünglichen Zielrichtung aus der RAF können wir nur noch wenig erkennen. Auch, was den wichtigen Punkt: Veränderungen angeht. Umso mehr erweckt ihr den Eindruck, daß eure Informationen, Aussagen, Mobilisierungen lediglich durch den Gebrauchswert »Prozessverwertbarkeit« bestimmt werden. Das geht bis zu dem Punkt, wo Brigitte Mohnhaupt [44] der Ratte Prinzing was über eure Struktur erzählt, um - und das als Hauptseite - den gekauften Zeugen Müller [45] als Lügner zu enttarnen. Warum sind Müller, Prinzing [46], Buback & Co. erst Anlaß für euch, etwas über eure Struktur zu erzählen? Während wir und andere nach 72 auf genau diese Informationen und noch mehr gewartet haben?
Genossen, wir haben ein ganz praktisches Problem mit euch: lange Zeit dachten wir, daß ihr unsere Genossen seid. Aber viele Genossen draußen haben nicht das Gefühl, daß sie auch eure Genossen sind. Wir und die anderen wurden/werden benutzt/untergeordnet, für eure Prozeßstrategie zum Beispiel. Auch für andere Mobilisierungskampagnen. Denn es gibt keine Möglichkeit, mit euch gemeinsam eine Strategie zu entwickeln und zu diskutieren. Sicher, es ist ungeheuer schwer, so was z.B. über den Knast zu machen. Aber unserer Ansicht nach ist das nicht der einzige Grund. Vielmehr wart ihr viel zu schnell in eurem Urteilen über uns. Ihr habt zu oft gezeigt, daß ihr nicht in unsere Kraft und die der anderen vertraut. In uns, die draußen sind. Die auch kämpfen wollen und müssen. Die aber den Anspruch haben, sich zu Entscheidungen hinzuentwickeln. Die aber euch nicht den schlechten Dienst erweisen wollen, blind eure Kompromißlosigkeit nachzubeten. Sondern die sie erst mal für sich überprüfen wollen. Das gilt auch für einen großen Teil der undogmatischen Bewegung. - Ja Genossen, wir kamen und kommen uns wie ein Werkzeug von euch vor, das weggeschmissen wird, wenn es stumpf ist. Warum es stumpf ist, fragt ihr nicht weiter. Ihr unterstellt uns einfach, wir seien schwach, (massen-)opportunistisch, wir würden uns in diesem korrupten, menschenfressenden System doch ganz wohl fühlen. Und das deprimiert. Schluß mit der Kategorie: Genosse oder Schwein!
Und jetzt hört mal ganz genau zu: es ist einfach blanker, defätistischer Unsinn, jemals zu glauben, daß die gesamte Linke in der Defensive ist. Eure schmutzige Phantasie über uns und unsere Kraft ist eher in der Defensive ...Wie kommt ihr überhaupt dazu, den letzten Hungerstreik deshalb abzubrechen, weil da irgendwelche Irren behaupten, wir (RZ, 2. Juni, undogmatische Gruppen, und und und ...) wären in der Defensive??? Ihr habt wohl während des Hungerstreiks gar nicht mitbekommen, daß z.B. eure Rechtsanwälte und die Komitees gegen die Folter ihre ganze Kraft für eure Forderungen eingesetzt haben, daß Professoren, Ärzte, Schriftsteller (Sartre), Pfaffen (Scharf), Amnesty (Österreich), viele undogmatische und auch dogmatische Gruppen (KPD/ML) euren Hungerstreik unterstützt haben. Die Ermordung von Holger wurde sofort mit der Erschießung von v. Drenkmann beantwortet. Vielen Leuten wurde klar, daß auch in den deutschen Gefängnissen gefoltert wird. Das ist wohl gar nichts? Ist das eurer Meinung nach ein Zeichen für die Defensive, in der die gesamte Linke steckt?
Abgesehen von der breiten Solidarität beim Hungerstreik lief und läuft ja einiges, was wohl nicht so entmutigend ist, wie es da teilweise von eurer Seite begriffen wird. Die Geschichte der letzten Jahre zeigt doch, wie wenig bestochen die Massen hier sind und wie fruchtbar der Boden sein kann: Nordhorn-Range, Septemberstreiks 73, Anschläge der RZ auf Niederlassungen von ITT, Whyl, Brokdorf, Frauengruppen, Anschlag der Frauen aus der RZ auf den BGH wegen § 218, gefälschte Fahrkarten, zunehmende Kämpfe und Politisierung in den Knästen, ausländische Komitees und Gruppen, Lorenz und sein Urlaub, Straßenschlachten in Frankfurt wegen der Fahrpreiserhöhungen und Häuserbesetzungen etc. Das sind auch teilweise Ergebnisse eurer Praxis. Genossen, gibt es denn heute diese Bewegung überhaupt noch in eurem Kopf? Oder hat sie eurer Meinung nach keine Bedeutung? Ist sie euch nicht wichtig genug, im Rahmen des Internationalismus? Oder findet ihr sie unbedeutend, weil sie nicht genau die gleiche Politik wie die RAF macht?
Und nun zu Einzelheiten: wir akzeptieren nicht, daß ihr einige Genossen aus dieser Bewegung so unsolidarisch behandelt:
* z.B. den ID-Schreiber, der über euren Prozeß berichtet hat. Ihr werft ihm vor, er sei ein objektiver Bulle, weil er Andreas Baader nicht wort-wörtlich zitiert hat. Als dieser »objektive Bulle« in einer solidarischen Weise antwortet, ist bei euch Funkstille. Heißt das, daß ihr seine Kritik richtig findet oder daß er von nun ab ein noch objektiverer Bulle ist? Der ID-Schreiber hat daraufhin aufgehört, weiter zu berichten ...
* Auch mit Denunziationen z.B. gegen einzelne Rechtsanwälte sind wir nicht einverstanden. Ihr versteht sicher, was wir meinen! Denn die RA's sind Genossen!
*Wie ist es möglich, daß RA Croissant Ulrike's »Nachlaß« verwaltet? Ulrike ist keine Akte, sondern hat mit euch gekämpft! Wie ihr wißt, ging Klaus Croissant inzwischen so weit, daß er Klaus Wagenbach [47] vorwirft, er arbeite dem Staatsschutz in die Hände und erzwingt über die Justiz (die euch zerstören will) einen Beschluß, wo das Buch über Ulrike von Peter Brückner zurückgezogen werden muß. Über Klaus Croissant wird also der 88 a von links eingeführt. So was war noch nie da! Wieso diskutiert ihr nicht selbst mit Klaus Wagenbach - einem Genossen? Wie steht ihr zu dem neuen 88 a?
* Ihr hüllt euch bezogen auf einen sehr wichtigen Artikel der RH/Häftlingskollektiv-Westberlin (Stand im Info-BUG [48] 111) über das Problem der Kriegsgefangenen in Schweigen. Wir finden das beschissen.
* Euer Nicht-Kommentar zu den Komitees gegen die Folter (sie unterstützten hauptsächlich die Gefangenen aus der RAF) muß endlich aufgebrochen werden. Angefangen bei ihren Aktivitäten bis zu ihrer Verfolgung durch Observationen, Hausdurchsuchungen, Winterreise. Danach haben sich die Komitees aufgelöst. Habt ihr das überhaupt mitbekommen? Oder sind sie ganz schnell mit einem Verteidigerkomitee/Hilfsfond ersetzt?
Das sind nur einige Beispiele. Wir wollen euch nur sagen, daß ihr in Zukunft so nicht mehr mit für die Bewegung wichtigen Genossen umspringen dürft, sie nicht mehr als objetive Bullen, Agenten des Staatsschutzes, BKA-Leute denunzieren. Denn das ist nicht nur eine Schweinerei, sondern das ist auch ungeheuer gefährlich! Wir werden das auch in Zukunft nicht mehr zulassen. Punkt!
Von eurer Seite, also den Genossen aus der RAF, wurde auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam gemacht. Immer wieder. Nämlich auf das Problem der psychologischen Kriegsführung. Erst, als ihr so entschieden darauf verwiesen habt, fingen wir an, viel genauer über Presse, Interviews und ihre Funktion, Buback's Strategien nachzudenken. Umso weniger verstehen wir, wie ihr den gleichgeschalteten Medien ziemlich das Feld überlaßt. Darauf wurde schon mal im RZ-Interview verwiesen.
So erfahren wir erst über FR, SZ, BZ etc. von euren Aussagen. Welchen Sinn das hat, verstehen zunächst nur die »eingeweihten« Genossen. Dasselbe bei der Genfer Konvention. Ganz allgemein erfahren wir erst Informationen über euch aus irgendwelchen Zeitungen und Nachrichten. Daß dadurch Gerüchte, Falschmeldungen, lancierte Nachrichten über euch kursieren, müßte euch doch klar sein. Nur zu selten erhalten wir zuerst Informationen von euch, zu spät Richtigstellungen von Falschmeldungen. Dadurch können dann viele Genossen für irgendwelche Kampagnen nur noch funktionalisiert werden. Ohne daß sie wirklich wissen, was sie tun. Wenn ihr aber darauf pfeifft, was für ein allgemeines Bild über euch vermittelt wird - ohne daß ihr draußen oder im Knast was dagegensetzt - so fühlt ihr euch zu stark. Auf der anderen Seite müssen wir daraus schließen, daß ihr uns und die anderen irgendwie verachtet.
Nun noch einige grundsätzliche Fragen:
* Wie steht ihr zur Politik der Revolutionären Zellen und der Bewegung des 2. Juni? Also zur Lorenz-Entführung, gefälschten Fahrkarten, Anschlag der Frauen aus der RZ auf den BGH, gefälschten Einkaufsscheinen für Berlin's Obdachlose [...]?
* Wie steht ihr hinter euren Anwälten, die direktes oder indirektes Berufsverbot bekommen? Die also einer ständigen Verfolgung ausgesetzt sind? Wie macht ihr ihnen wieder MUT, außer daß ihr Buback & Co. beschimpft? Wir fragen deshalb, weil es mittlerweile nicht mehr viele linke Anwälte gibt, die gefangene Revolutionäre verteidigen.
* Warum stützt ihr euch mittlerweile nur noch auf prominente Persönlichkeiten? Weil sie die Spitze der legalen Bewegung sind? Was wir übrigens für einen gewaltigen Irrtum halten.
* Was haltet ihr von der gemeinsamen Diskussion sämtlicher politischen Gefangenen und der Gefangenen, die im Knast politisch wurden? Wir meinen damit nicht, daß ihr fordert, daß alle in's gleiche KZ verlegt werden. Also Buback's Idee. Weil das falsch ist. Sondern wir meinen die gegenseitige Stärkung aller Gefangenen, die sich gegen den Knast wehren.
* Meint ihr nicht, daß die Aktion in Stockholm kritisiert werden müßte? Und sicher nicht deshalb, weil die Aktion nicht die gestellten Forderungen erreicht hat. Das ist nicht der Punkt. Sondern, weil die ganze Aktion eine üble Erfahrung dafür war, wie sich einige Genossen total über ihre Verhältnisse und Erfahrungen übernommen haben. Sie hat keine Langfristigkeit vermittelt. Auch die Forderungen selbst standen in keinem Verhältnis zu der Aktion. Zwei Genossen haben diese Aktion mit ihrem Leben bezahlt. Der Zeitraum der Forderungen war viel zu kurz. - Es wurden also Fehler gemacht, die beim nächsten Mal unbedingt verhindert werden müsen. Dazu werden Fehler gemacht. Aus jeder Niederlage einen Sieg machen! ...
* Wie steht ihr z.B. zur starken Bewegung in Brokdorf, Wyhl etc.? Also zur großartigen AKW-Nein-Bewegung?
* Wir meinen, daß eure Isolation durch den Staatsschutz von euch selbst verstärkt wird. Ihr habt euch von der gesamten linken Bewegung zu stark isoliert. Um sich mal auf euch zu beziehen: ein Fisch ohne Wasser verdurstet! Selbst wenn ihr meint, er bräuchte das Wasser nicht zum Schwimmen. Wir meinen, daß eure und unsere Mittel nicht erst von Sachbeschädigung aufwärts beginnen. Auch Erklärungen müssen in westdeutsch geschrieben sein, damit sie jeder verstehen kann. Eure heutigen Erklärungen sind für die Allgemeinheit nicht mehr zu verstehen. Nur noch für Insider. So läuft dann eine Mobilisierung nur noch über den psychologischen Druck, nicht über die sachliche Notwendigkeit.
Und nun, Genossen aus der RAF, kommen wir zu dem möglichen 4. Hungerstreik:
Wir meinen, daß zwischen euch und denen, die den Hungerstreik unterstützen sollen und können, zu viele Unklarheiten/Widersprüche sind. Einen Teil davon haben wir versucht zu benennen. So soll auch dieser Brief nur als Anfang einer langen Diskussion begriffen werden. Ihr müßt jetzt die Karten auf den Tisch legen. Ohne das geht es nicht mehr. Sonst hofft ihr auf blinde Solidarität. Ihr kommt nicht mehr umhin, genau zu erklären, ob wir und andere Linke eure Genossen sind. Ob wir nicht mehr eure Instrumente sind, die dann als »Linke in der Defensive« bezeichnet werden. Ob ihr euch für die Genfer Konvention, für ein geschlossenes KZ und damit gegen uns bzw. die Gleichstellung mit anderen Gefangenen, Aufbruch der Isolation und damit für uns entscheidet. Früher habt ihr gefordert: Aufhebung der Sonderbehandlung - Gleichstellung mit anderen Gefangenen. Jetzt wollt ihr auf ein Stück Papier, nämlich die Genfer Konvention beharren. Der Status von Kriegsgefangenen bedeutet aber (...in der Vorlage nicht lesbar...). Mit eurer Forderung übergeht ihr auch die Interessen der anderen Gefangenen. Ihr müßt bereit sein, eure Denuntiationen sofort zurückzunehmen! Wollt ihr wirklich für eine wahnwitzige Forderung, also Kriegsgefangene, euer Leben wegwerfen? Weil ihr meint, ihr würdet nicht mehr gebraucht werden? Weil ihr nicht mehr auf die Bewegung vertrauen könnt?
Solltet ihr trotzdem euch über diesen Brief einfach hinwegsetzen und euch - wie gehabt - in Schweigen hüllen, solltet ihr z.B. trotzdem euer Leben für die Anwendung der Genfer Konventionen auf's Spiel setzen, so wird unsere Solidarität mehr eine Qual als eine Selbstverständlichkeit.
Eine Revolutionäre Zelle





Die Bilanz ist schlimm
Februar 1985

Der Hungerstreik ist abgebrochen worden und wer ist darüber nicht erleichtert. Die Bilanz ist schlimmer, als wir vorher gewußt haben:
- ein toter Genosse in Stuttgart [49]
- Morde an zwei Leuten, bei deren Tod keiner aufatmet, der unter ihnen gelitten hätte. Warum wurde Walter Reder nicht in Graz erschossen?
- ein HS, bei dem in x Knästen z.B. in NRW soziale und politische Gefangene mitgezogen hätten, wenn die Forderungen nur irgendwie bezogen auf den Knast erweiterungsfähig gewesen wären.
- ein Feuerwerk quer durch die Republik bis Krümmel, das Schweinepresse und Bullen auf das Konto der RAF verbuchen wollen, damit die Fahndungserfolge kommen.
- schließlich das Gespenst einer westeuropäischen kommunistischen Guerilla, das den Vorwand für eine neue Stufe der deutsch-französischen Innenaufrüstung liefert.
Der HS, seit 83 im Gespräch, Sommer 84 von Rebmann angekündigt, war verdammt gut getimet. Nach der Niederlage im »Heißen Herbst« und der Flaute und Desorientierung 84 bietet sich ein Projekt zum Abfahren an, das vollkommen leer ist und außer HS und Krieg dem Kriegsimperialismus überhaupt nichts rüberbringt. Daß so viele Genossen darauf abgefahren sind, zeigte, welche guten Strukturen es noch gibt, aber auch den Mangel an Perspektive und Verankerung. Die besten Aktionen, die gelaufen sind, bleiben ein propangadistischer Selbstzweck und drücken keine wirkliche Gegenmacht aus. Mobilisiert wird nur noch, wenn 30 Genossen erklären, daß sie ihren Tod in Kauf nehmen, mobilisiert wird für eine Form von Guerilla, die sich selbst diskreditiert und mit der kein Mensch mehr Befreiung verbinden kann. Mobilisiert wird mit der Phrase »Haupttendenz ist Krieg«.
Der Krieg spielt sich anders ab, als die Genossen der RAF sagen. Wir haben nicht die Absicht, den radikalisierten Flügel der Friedensbewegung zu spielen und auf ihre Ablenkungsmanöver hereinzufallen. Der Klassenkampf und die Weltrevolution haben andere Fronten als die Militärblöcke. Die Befreiung der Völker vom Yankee-Imperialismus verläuft nicht über Moskau und den Bolschwismus. Der wirkliche soziale Krieg gegen die Völker der drei Kontinente und Teile der Klassen in Westeuropa wird nicht von der NATO geführt. Imperialismus ist immer noch Klassenkampf, oben gegen unten, Ausbeutung, Armut, soziale Verelendung und täglicher Völkermord gegen den Kampf um ein besseres Leben.
Für den Aufbau der sozialrevolutionären Guerilla!





Es ist zum Kotzen
Februar 1985

In der Taz vom 13.2.85 wurde eine angebliche Erklärung der RZ zum Hungerstreik abgedruckt. Jeder weiß, daß es Erklärungen der RZ nur ganz selten gibt (Ausnahmen in den letzten Jahren: Revolutionärer Zorn, Beethoven-Papier, Diskussionspapier zur Friedensbewegung). Diese Erklärung ist keine Erklärung der RZ: wir können nur hoffen, daß es ein Staatsschutzprodukt ist, schließen aber nicht aus, daß irgendein/e Aufschneider/in seiner/ihrer Meinung mit diese beiden Buchstaben den medienwirksamen Nachdruck verleihen will oder daß irgendjemand aus dem Zusammenhang von Widerstandsgruppen vollkommen durchgedreht ist.
1. Die Kritik des Papiers ist falsch und opportunistisch. Die Erschiessung von Audran [50] und Zimmermann damit zu kritisieren, daß sich niemand über ihren Tod gefreut habe, ist die dümmste (und zudem nicht richtige) aller denkbaren Kritiken. Die Entwicklung des Imperialismus entpersönlicht, versachlicht Herrschaftsverhältnisse, macht sie in der technologischen Struktur für den einzelnen nicht identifizierbar, abstrakt, anonym. Direkte Herrschaft wird ausgeübt von beschränkten, subalternen Schergen, aber die unsichtbaren, unbekannten, feinen, gebildeten Schreibtischtäter, Manager und Aufsichtsratsvorsitzenden sind verantwortlich! Jenseits einer Diskussion über Zeitpunkt, Form, Moral und politisches Ziel der Operationen von RAF und Action Directe steht fest: es hat zwei Leute getroffen, die wie wenige andere an der Militarisierung Westeuropas verantwortlich beteiligt waren.
Wenn die Verfasser/innen des dokumentarischen Schreibens jemand anderen für einen Anschlag »vorziehen« - warum machen sie es nicht? Und wenn, dann wäre nicht dieser scheintote Altnazi Reder fällig, der doch nur für eine historisch überholte Herrschaftsform steht, sondern der jugendfrische österreichische Verteidigungsminister, der mit dem Empfang des auch nach 40 Jahren unbelehrbaren Faschistenpacks und Massenmörders sich in dessen Traditionslinie stellt.
Es mag auch sein, daß bei anderen Forderungen des Hungerstreiks sich mehr Gefangene dem Hungerstreik angeschlossen hätten. Das ist aber nicht unser Problem. Wir respektieren die Aktion von fast 40 Gefangenen. Wir sind damit solidarisch, wenn sich Gefangene in Knästen zur Wehr setzen.
Die zahlreichen militanten Aktionen, die zum Hungerstreik gelaufen sind, waren unterschiedlich motiviert und griffen in einem weiten, diffusen Spektrum an. Das war ihre Stärke und Schwäche zugleich. Es ist ebenfalls nicht unser Problem, ob die Staatsschutzpropaganda wider besseres Wissen all diese Aktionen »auf das Konto der RAF verbucht« - auf unserem Konto stehen sie jedenfalls nicht.
Die gemeinsamen Aktionen und Erklärungen von RAF und Action Directe als »Vorwand für eine neue Stufe der deutsch-französischen Innenaufrüstung« zu bezeichnen - wo sind wir nun angelangt? Es ist eine breite und gesicherte Erfahrung der Massenbewegungen und der bewaffneten Initiativen seit Mitte der 60er Jahre, daß die Staatsapparate national wie supranational präventive Konterrevolution betreiben, daß sie keinen Vorwand brauchen, nach Gusto aber Gelegenheiten wahrnehmen, um ihre Projekte der innerstaatlichen Aufrüstung, der »nationalen Sicherheit« durchzusetzen, um die Identifizierung, Einkreisung, Einschüchterung, Integration oder Verfolgung potentieller Widerstandgruppen voranzutreiben. Daß Widerstand insofern auch zur Repression führen kann - ja, wer hätte das gedacht?
2. Die Funktion dieses Papiers als angebliche RZ-Stellungnahme ist Spaltung, Desorientierung, Diskreditierung. Es nutzt den staatlichen Projekten und den politischen Gegnern revolutionärer Politik. Es könnte aus dem Lehrbuch der Counter-Insurgency stammen.
Behaupte niemand, eine »offene Diskusson« sei notwendig. Es gibt diese Diskussionen überall - wenn auch nicht schlagzeilenträchtig. Die politische Differenz der RZ zur RAF drückt sich im übrigen nicht von Schlagzeile zu Schlagzeile und schon gar nicht als Distanzierung gegenüber unserem gemeinsamen Gegner aus, sondern seit 1973 in dem Versuch, eine andere, sozialrevolutionäre Linie, andere Formen des bewaffneten Widerstandes praktisch zu entwickeln. Nur darum geht es und nicht Scheiße auf Freundinnen und Freunde zu schmeissen, die uns in diesem furchtbaren Land näher sind als die meisten anderen.
3. Niederträchtig und erbärmlich ist der Versuch, unsere verbale und praktische Untätigkeit in den letzten Monaten als politische Entscheidung auszugeben. Einzelne Menschen der RZ haben sich an Aktionen zum Hungerstreik beteiligt, wir waren in der Vorbereitung von Aktionen und haben diese aus verschiedenen Gründen nicht durchgeführt: aus Unzufriedenheit mit den Objekten, aus Unsicherheiten über die Entwicklung des Hungerstreiks, aus ganz praktischen Problemen heraus.
Suggeriert wird aber die Gewißheit eines »sozialrevolutionären Projektes« der RZ, der militanten Gruppen. Schön wäre es - in der Praxis diskutieren wir seit Jahren daran, ohne bisher ein Projekt entwickelt zu haben, daß auf die Krise der Gesellschaften und der revolutionären Strategien eine adäquate theoretische wie praktische Antwort gibt.
Eine Gruppe aus dem »Traditionsverein« der RZ




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