Zorn-Extra - 9. Zeitung der Revolutionären Zellen

Oktober 1986

In den vergangenen Wochen haben wir eine Reihe von Aktionen gegen Institutionen der Abschreckung und Kontrolle von Flüchtlingen gemacht, die wir hier zusammenhängend dokumentieren.
Um es nochmals zu betonen: wir begreifen diese Aktionen nicht als Reaktion auf den rassistischen Propagandafeldzug, den das Regime gegen die Flüchtlinge inszeniert und in dessen beabsichtigter Folge das Arsenal der Abschreckungsmaßnahmen um das bedrohliche Moment des Pogroms erweitert wurde.
Wir teilen aber auch nicht jenes humanitäre, naiv-rechtsstaatliche Selbstverständnis, aus dem heraus vor allem kirchliche, gewerkschaftliche und politisch etablierte Gruppen die Verteidigung des Asylrechts beschwören. Der Staat, von dem die Gewalt gegen die Flüchtlinge ausgeht, taugt nicht als Adressat für Appelle und Resolutionen. Darüberhinaus beinhaltet die Beharrlichkeit, mit der der Status des politischen Asyls hochgehalten wird, die Verlängerung jener Differenzierung und Selektion von Flüchtlingen, die der Sonderbehandlung zugrundeliegt und diese erst begründet. Aus welchen Gründen auch immer Menschen in die BRD kommen - sie können bleiben, weil sie hier sind.
Wir wollen zur Rückgewinnung eines konkreten Antiimperialismus in der BRD beitragen - in diesem Zusammenhang steht unsere Orientierung an der Flüchtlingsfrage. Denn Antiimperialismus bedeutet nicht allein Angriff auf militärisch-industrielle Apparate und ist mehr als Solidarität mit fernen Befreiungsbewegungen. Unsere Aufgabe ist es, eine antiimperialistische Politik auf die Klassenfront hier und auf die Rückwirkungen in diesem Land zu beziehen. Dabei ist die Flüchtlingsfrage in doppelter Hinsicht ein entscheidender Angelpunkt:
1. Die Migrationsbewegungen, von denen die hier ankommenden Flüchtlinge ja nur die Rauchschwaden eines Vulkanes sind, sind Ausdruck und Folge der Zerstörungen, mit denen der Imperialismus die Herkunftsländer überzieht; ihre Anzahl wächst als Kehrseite des tatsächlich erreichten Grades an kapitalistischer Durchdringung. Aber die zwangsweise Vertreibung geht einher mit dem Willen und der Entschlossenheit der Flüchtlinge, aus den Verhältnissen auszubrechen und hier, in den Metropolen, ihren Anspruch auf Leben und Entschädigung zu stellen. Es geht darum, die Mobilität des Proletariats zurückzuerobern gegenüber einem Kapital, das sich über nationale Grenzen schon längst hinweggesetzt hat. Wenn die metropolitanen Regimes darauf zielen, ihre innere Stabilität durch Abschottung der Grenzen zu behaupten, so können wir dem nur den Kampf um offene Grenzen entgegensetzen.
2. Der BRD-Sozialstaat zeigt in der Behandlung der Flüchtlinge sein eigentliches Gesicht und genau an diesem Punkt müssen wir ihn angreifen. Der Katalog von Sondermaßnahmen ist keine Entgleisung, die es zu korrigieren und auf sozialpolitisches Normalmaß zurückzubringen gilt. Da es gegenüber Flüchtlingen keinerlei Rücksichtnahme auf einen gesellschaftlichen Status quo gibt, reduziert sich Sozialpolitik vielmehr auf das, was sie ihrem Wesen nach ist: ein Herrschaftskalkül, dem es allein um Arbeitsmarktregulation und soziale Kontrolle zu tun ist. Die rassistische Verklausulierung sichert dem Regime Unterstützung sogar bei denen, die selbst potentiell Angriffsziel dieser Politik sind. Ob und wie Maßnahmen wie Lager, Lebensmittelgutscheine oder Sondergerichtsbarkeit als Modell für spätere Schritte gegen arbeitslose Jugendliche oder ausgesteuerte Proleten dienen oder ob sie nur als Drohung stehen bleiben, hängt von der weiteren Entwicklung der sozialen Konfrontation ab. Aber wir müssen nicht erst auf bedrohlichere Zeiten verweisen, um Angriffe auf die repressivsten und extremsten Ausprägungen des Sozialstaates zu begründen - die sozialrassistische Praxis gegen die Flüchtlinge ist dafür Grund genug. Noch wissen wir nicht, ob sich an der Flüchtlingsfrage antiimperialistische Politik mit Konfrontationslinien im entgarantierten Sektor verbinden wird, aber der Kampf um das faktische Aufenthaltsrecht für Flüchtlinge ist auch dann richtig, wenn er vorerst von den weißen Schichten des Proletariats weitgehend isoliert bleibt.
Natürlich geht es um offene Grenzen und um freie Flüchtlingsstädte. Allerdings sind diese nicht vom Staat zu fordern - sie sind nur vorstellbar und nur durchzusetzen, indem wir den Flüchtlingen einen Raum verschaffen, der nicht mehr staatlich kontrolliert und reglementiert wird. Der Beitrag, den wir - oder Gruppen wie wir - zu einem solchen Projekt leisten können, besteht im Angriff auf die polizeiliche und sozialbehördliche Kontrolle, der aus öffentlichen Kampagnen allein nicht getragen werden kann. Aber dieser Angriff ist erst sinnvoll, wenn daneben Netze für die konkrete Unterstützung der Flüchtlinge aufgebaut werden, wenn eine subversive Praxis die Verhältnisse faktisch verändert.
In Hamburg wollten wir die Ausländerabteilung der Bullen lahmlegen, die Razzien und Ermittlungen gegen Illegale durchführt und die Abschiebungen vorbereitet - deswegen sind wir dort eingebrochen und haben Feuer gelegt. Es ging uns darum, möglichst viele Akten zu vernichten, die Bullen eine Zeitlang mit Aufräumungsarbeiten statt Menschenjagd zu beschäftigen und so den Flüchtlingen wenigstens eine Weile Luft zu verschaffen. Die Beharrlichkeit, mit der betont wurde, alle Akten seien doppelt vorhanden, betrachten wir eher als Indiz fürs Gegenteil.
In Köln haben wir das Rechenzentrum des Ausländerzentralregisters angegriffen, in dem Daten sämtlicher in der BRD erfaßter Ausländer bearbeitet werden. Weil an den Computern selbst rund um die Uhr gearbeitet wird und wir kein Menschenleben gefährden wollten, haben wir im Luftschacht der Klimaanlage einen Sprengsatz angebracht, der die Klimaanlage, die Stromversorgung des Rechenzentrums und auch das Notstromaggregat zerstört hat. Da Großrechner auf Spannungs- und Temperaturschwankungen empfindlich reagieren und da Chips und Schreib/Leseköpfe gegen metallische Stäube allergisch sind, ist davon auszugehen, daß einiges an Hardware und jede Menge Informationen zu Bruch gegangen sind. Und auch Wochen nach dem Anschlag auf das AZR geht dort nichts mehr. Wo früher rund um die Uhr emsig Daten gesammelt, geknüpft und gespeichert wurden, ist es heute stockfinster: eine tote Festung. Die vom BKA lancierte und von den Medien verbreitete Behauptung, das Rechenzentrum sei ausschließlich in seiner baulichen Substanz betroffen, erweist sich als propagandistische Zwecklüge.
In Lüneburg galt unser Anschlag einer Institution der Justiz, die sich dabei hervorgetan hat, die administrativen Maßnahmen der Flüchtlingsschikanierung durch ihre Urteile ideologisch zu untermauern. Der Zerstörung der Verhandlungssäle, die leider nicht geklappt hat, hätte der Brandmarkung eines Gerichts gedient, das sich nicht scheut, Menschen gnadenlos der Folter auszuliefern.
In Berlin gehört dem DRK endlich das Handwerk gelegt, das dem Senat das schmutzige Geschäft der Lagerhaltung von Flüchtlingen abnimmt und hinter dessen Renomee als internationale Hilfsorganisation sich eindeutige Parteinahme für die imperialistische Flüchtlingspolitik verbirgt - nicht nur in Berlin. Dieser Rolle wäre es angemessen gewesen, die Berliner Zentrale zu zerstören. Wir haben darauf verzichtet, weil wir auch dort Menschen getroffen hätten, die wir nicht treffen wollten. Statt dessen haben wir uns die Autos zweier leitender DRK-Funktionäre vorgenommen.
In Hagen und Hamm richteten sich unsere Anschläge gegen die Ausländerbehörden dieser Städte. Sie sind Orte alltäglicher Schikanen, denen wir gezielte Aktionen und alltäglichen Widerstand entgegensetzen müssen.

Erkämpft das freie Aufenthaltsrecht für alle Flüchtlinge und Immigranten!
Mit unseren Aktionen gegen die Hamburger Ausländerpolizei, das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, das Ausländerzentralregister in Köln und das DRK in Berlin haben wir den Kampf gegen die verantwortlichen Instanzen der imperialistischen Flüchtlingspolitik in der BRD begonnen. Unsere Aktionen werden aber wirkungslos verpuffen, wenn sie nicht zur Entwicklung eines neuen Ansatzes von Antimperialismus der radikalen Linken beitragen.
Was heißt das?
Die Flüchtlingsfrage ist keine humanitäre oder juristische Frage und beschränkt sich nicht auf die Frage des »politischen Asyls«. Sie ist Teil eines globalen Klassenkampfes und Ausdruck eines vom imperialistischen Weltsystem gesetzten Widerspruchs, der ein Proletariat neuen Typs hervorbringt; die mobilisierten, vertriebenen, entwurzelten Massen der 3. Welt.
So wie die Flüchtlingsbewegungen die Grenzen zwischen dritter und erster Welt überschreiten, muß heute der antiimperialistische Kampf auf die Metropole zurückbezogen werden. Es ist das gleiche imperialistische System, das die Menschen dort vertreibt, sie hier in Lager sperrt und ihnen als Sozialpolitik gegenübertritt. Antiimperialismus wird konkret, wo er Bezug auf die gesellschaftspolitischen Konflikte nimmt, die sich vor unseren Augen abspielen und wo er sich ins Verhältnis setzen läßt zu einem möglichen Klassensubjekt.
Antiimperialistische Politik in der BRD hat sich bisher an den beiden Polen der Solidarität mit den Befreiungsbewegungen der 3. Welt und der Bekämpfung der imperialistischen Kriegsmaschinerien orientiert.
Wir haben nicht die Illusion, daß die Immigranten und Flüchtlinge in der BRD mit Teilen der westdeutschen Unterklassen rasch gemeinsame Interessen entwickeln können. Trotzdem muß antiimperialistische Politik genau da angesiedelt sein, wo sich rassistisch vermittelte Klassenspaltungen tendenziell aufbrechen lassen.
Es geht also nicht um humanitäre Gesten gegenüber Flüchtlingen, es geht nicht um die Verantwortlichkeit des Sozialstaates und auch nicht um die Verteidigung des Asylrechts.
Die ersten Aufgaben antiimperialistischer Politik liegen vielmehr darin, die staatliche Regulation der Flüchtlingsbewegungen, die Abgrenzungen der BRD vor der Armut der 3. Welt, zu unterlaufen und die polizeilichen und sozialpolitischen Restriktionen gegenüber Flüchtlingen zurückzudrängen.
Unser Ziel muß es sein, ein faktisches Aufenthaltsrecht für alle Immigranten und Flüchtlinge in der BRD durchzusetzen. Der Weg dorthin führt nicht über Forderungen an den Staat, sondern bestimmt sich nach dem Ausmaß unserer eigenen Widerstandsaktionen.
Unser Vorschlag richtet sich an die autonome und sozialrevolutionäre Linke in der BRD, die Flüchtlingsfrage aus einer antiimperialistischen Perspektive heraus aufzugreifen und zum Prüfstein des politischen Handelns auf verschiedenen Ebenen zu machen:
- Kampagnen gegen die Einschränkung der Aufenthaltsbedingungen und Lebensverhältnisse der Flüchtlinge (Fahrkarten drucken, Warengutscheine umtauschen oder herstellen, Lebensmittelgeschäfte plündern, Krankenversorgung sicherstellen)
- Netze zur Verteidigung von Flüchtlingen gegen rassistische Übergriffe aufbauen (Telefonketten)
- Aktionen gegen Zwangsprostitution und Frauenhandel
- Kampagnen gegen Zwangsarbeit und Niedriglohn
- Unterstützung illegaler Strukturen von Flüchtlingen (Unterbringung, Papiere)
- Aktionen gegen Razzien der Ausländerbullen (z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln) und gegen zwangsweise Umverteilung innerhalb der BRD
- Aktionen gegen Abschiebung von Flüchtlingen (z.B. auf Flughäfen).
Wir haben heute die Ausländerbehörden in Hagen und Hamm angegriffen.
Ausländerbehörden sind die Eckpfeiler der Flüchtlingspolitik, zuständig für Art und Umfang der Aufenthaltsgenehmigung wie für sog. »aufenthaltsbeendende Maßnahmen«, Razzien und Abschiebungen. Sie sind die alltäglichen Schauplätze einer Abschreckungsstrategie. Daß die Asylpraxis in Nordrhein-Westfalen relativ weniger restriktiv gehandhabt wird, als in anderen Bundesländern, bewegt sich im Rahmen eines abgestuften sozialpolitischen Experiments und einer datenmäßigen koordinierten Arbeitsteilung, in der die Lagerhaltung und Abschiebung anderen Ländern überlassen bleibt und die Grenzen dicht gemacht werden.




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